Neues aus der Verbraucherforschung - 14. Heidelberger Ernährungsforum

14. Heidelberger Ernährungsforum

Jeden Tag schlüpfen wir Menschen mehrfach in die Rolle des Verbrauchers. Wir fahren Bus, telefonieren, kaufen ein und essen. Verbraucherinformation, Verbraucherschutz oder auch Verbrauchermacht sind deshalb Themen, die in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft schon längst Einzug gehalten haben. Aber wen und was meinen wir eigentlich, wenn wir von dem Verbraucher sprechen? Und wer weiß wirklich, was für den Verbraucher, sprich für uns am besten ist? Wie wir als Verbraucher agieren und wie gelungene Verbraucherpolitik und -kommunikation aussehen können, diskutierten die rund 70 Teilnehmer des 14. Heidelberger Ernährungsforums am 29. und 30. September 2010 mit Experten aus Wissenschaft, Industrie, Politik und Journalismus.

Der Verbraucher ist ein komplexes Wesen und schwer zu erfassen, das machte Dr. Gesa Schönberger von der Dr. Rainer Wild-Stiftung, Heidelberg, gleich zu Beginn der Tagung deutlich. Aufgabe der Forschung sei es deshalb, den Verbraucher zu beobachten und sein Tun zu erklären. Daraus entwickele sie dann Instrumente, die dem Verbraucher beispielsweise helfen sollen, sich innerhalb des großen Angebotes zurechtzufinden. Andere, insbesondere politische Instrumente, zielten darauf ab, den Verbraucher in gewünschte, z. B. gesundheitsfördernde Bahnen zu lenken. Zu allen vier Bereichen bot das in Kooperation mit der SRH Hochschule Calw durchgeführte Heidelberger Ernährungsforum neue Erkenntnisse.

Wie wichtig es ist, den Verbraucher zu kennen, betonte auch Prof. Dr. Lucia Reisch von der SRH Hochschule Calw/Copenhagen Business School. Basierend auf Theorien der Verhaltensökonomik schilderte sie einige Beispiele, in denen das Verbraucherverhalten dem „rationalen“ Verhalten widerspricht. Indem sie beispielsweise überversichert sind, gegen den Klimawandel aber nur wenig tun, überschätzen Verbraucher häufig geringe Risiken und unterschätzen die großen. Reisch erklärte dies damit, dass Verbraucher das Hier und Jetzt bevorzugen und sich zugleich von ihren Gewohnheiten leiten lassen. Sie handeln dabei stets situationsabhängig, nach einer subjektiven Eigenlogik und immer nur im Rahmen ihrer eigenen Möglichkeiten.

Prof. Dr. Christoph Fasel, Institut für Verbraucherjournalismus an der SRH Hochschule Calw, erläuterte die Grundsätze gelungener Verbraucherkommunikation. Wichtig sei vor allem eine klare Kernbotschaft, die leicht zu erfassen ist und das Interesse des Verbrauchers weckt. Eine gelungene Kommunikation spreche zudem eine klare und ehrliche Sprache. Fasel empfahl, dem Verbraucher nicht nur Sachinformationen zu liefern, sondern immer auch einen Nutzen aufzuzeigen. Neben der häufig schon komplizierten Botschaft an sich bildete das sogenannte „Denglisch“ eine zusätzliche Barriere. Englische Ausdrücke würden von einer Vielzahl der deutschen Verbraucher falsch oder gar nicht verstanden, erläuterte Fasel. Das habe zur Folge, dass die Botschaft oftmals eher irritiere als informiere. Eine klare, zielgruppengerechte Sprache ohne Anglizismen sei daher zielführender als vermeintlich „trendige“ Formulierungen.

Kommt es bei der Kommunikation von Ernährungs- und Gesundheitsthemen auch darauf an, ob ich Männer oder Frauen anspreche, fragte Dr. Gesa Schönberger und berichtete über die Untersuchung eines bekannten Männermagazins. Diese habe ergeben, dass Männer eine bildhafte, aktive, aussagekräftige und sachliche Sprache bevorzugen. Reich gespickt mit Zahlen und Fakten würden dem Leser schnelle und unkomplizierte Lösungen angeboten. Kritisch sah Schönberger jedoch, dass die Geschlechterrollen über eine vermeintlich männergerechte Ansprache geradezu stereotyp zementiert würden.

Auch für Unternehmen werde die Kommunikation mit den Verbrauchern zu einer immer wichtigeren Aufgabe. Weil gute Qualität heute völlig selbstverständlich ist, müssten Unternehmen ihre Produkte mit weiteren Werten verbinden, erläuterte Brigitte Arndt-Rausch vom Marktforschungsunternehmen The Nielsen Company aus Frankfurt. Neben Ökologie und Regionalität sind das moralische (z.B. Kinderarbeit) und soziale (z.B. Umgang mit Mitarbeitern) Fragen. Gerade vor dem Hintergrund eines sinkenden Umsatzvolumens im Lebensmittelmarkt werde die „Geschichte“ eines Produktes zum wesentlichen Erfolgsfaktor. Unternehmen aus dem Bio-Bereich sollten ihr langjähriges Engagement stärker kommunizieren, denn die Großen der Branche hätten das Potential dieser „Geschichten“ schon längst für sich entdeckt.

Frank Leyhausen von der Kommunikationsagentur MedCom International GmbH, Bonn, betonte, wie wichtig es ist, dass Verbraucher glaubwürdige Informationen erhalten. Anhand aktueller Daten aus einer Befragung der Generation 50plus belegte er, dass ethisch erzeugte Produkte durchaus bekannt sind und für gut befunden werden. Doch diese Altersgruppe stehe den realen Bio-, Öko- und Fair-TradeAngeboten sehr kritisch gegenüber. Er warnte ausdrücklich vor dem sogenannten „Greenwashing“, durch das moralische, soziale und ökologische Aussagen zunehmend unglaubwürdig werden.

Vor diesem Hintergrund fragte Prof. Dr. Lucia Reisch nach den Anforderungen an die gegenwärtige und zukünftige Verbraucherpolitik. Diese wäre dann gelungen, wenn sie effektiv und effizient, zielgerichtet und nachhaltig sei und sich an bestehenden Normen orientiere. Reisch erläuterte dazu zwei Möglichkeiten: Entweder passt sich Verbraucherpolitik an das bestehende Verbraucherverhalten an. Das widerspricht jedoch einem aktiven Politikverständnis und ist deshalb nur als Politikergänzung zu sehen. Oder die Politik zielt darauf ab, Verhaltensveränderungen zu erzielen, indem z. B. Verbraucher in ihren Kompetenzen gestärkt werden. Sinnvoll sei dabei, zunächst empirisch zu überprüfen, was politisch machbar ist.

Prof. Dr. Adalbert Evers, Professor für Vergleichende Gesundheits- und Sozialpolitik an der Universität Gießen verdeutlichte, wie wichtig Verbraucherpolitik für das Marktgeschehen ist. Er unterschied zwischen einem „engen“ und einem „weiten“ Verbraucherleitbild. In der engen Fassung gelten Verbraucher als schutzbedürftig und überfordert. Aufgabe der Politik sei es dann, den Markt so zu regulieren, dass Verbraucher geschützt, unterstützt und handlungsfähig wären. Im Gegensatz dazu werden Verbraucher im weiten Verbraucherleitbild als aktiv Handelnde gesehen, die durch mündigen und souveränen Konsum ihren Lebensstil ausdrückten und durch ihre Marktteilnahme Einfluss nähmen. Verbraucherpolitik setze heute in beiden Fassungen Akzente. Die Balance zwischen Regulierung und Angeboten, zwischen Wahlfreiheit und Bevormundung stelle die Politik jedoch immer wieder vor große Herausforderungen.

Aus seiner täglichen Praxis heraus berichtete Dr. Peter Maier vom badenwürttembergischen Ministerium für ländlichen Raum, Ernährung und Verbraucherschutz über Möglichkeiten und Grenzen dieser Aufgabe. Beratung, Information, Bildung, Netzwerke, Fachkonferenzen oder Initiativen auf politischer Ebene böten vielfältige Möglichkeiten für den gesundheitlichen und wirtschaftlichen Verbraucherschutz. Die Handlungsfähigkeit werde allerdings stets durch den politischen Prozess der Willensbildung begrenzt. Unterschiedliche Zuständigkeitsbereiche innerhalb Deutschlands und Europas erschwerten überdies die oft geforderte, schnelle und einfache Umsetzung guter Konzepte.

Insgesamt wurde deutlich, dass es den einen Verbraucher und die Verbraucherforschung nicht gibt. Das Forum hat vielmehr gezeigt, wie komplex und vielschichtig Verbraucherforschung heute ist. Kommunikatoren aus Wissenschaft, Politik und Industrie stehen vor der Herausforderung, Instrumente und Medien an unterschiedlichste Zielgruppen und deren wechselhafte Verhaltensweisen anzupassen. Nur so können bestmögliche Voraussetzungen für den täglichen Konsum und damit auch für eine gesunde Ernährung geschaffen werden.

Weitere Informationen:

Die Dr. Rainer Wild-Stiftung, Stiftung für gesunde Ernährung versteht sich als Kompetenzzentrum für gesunde Ernährung und Ansprechpartner für Fachleute, Wissenschaftler und Multiplikatoren. Auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse will sie ein tieferes Verständnis für die existenzielle Bedeutung gesunder Ernährung schaffen und setzt sich aktiv für einen zeitgemäßen und verantwortungsbewussten Umgang mit Ernährung ein. Mit einer umfassenden Herangehensweise beleuchtet sie das Thema Ernährung aus verschiedenen Blickwinkeln. Im Mittelpunkt ihrer Projekte, Publikationen und Veranstaltungen stehen Ernährungsbildung, Verbraucherverhalten, Esskultur und Geschmacksforschung. Die Dr. Rainer Wild-Stiftung wurde 1991 von Prof. Dr. Rainer Wild, einem Unternehmer aus der Lebensmittelindustrie, in Heidelberg gegründet. Sie ist eine gemeinnützige und unabhängige Stiftung des bürgerlichen Rechts. Gemäß ihrer Satzung ist sie operativ tätig und nicht fördernd.

Dr. Rainer Wild-Stiftung
Nicole Schmitt
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