Wasser trinken

Trinken ist ein wichtiger Teil der Ernährung. Doch in Zeiten der Überernährung wird das Trinken von energiereichen Getränken zum Problem. Dabei erscheint nichts leichter, als mehr Wasser zu trinken. Doch so einfach ist es nicht. Denn in den Köpfen der Menschen ist Wasser eines der widersprüchlichsten Lebensmittel überhaupt.

Vom basalen Getränk zur Lifestyle-Ware. Wasser in transkultureller und evolutionärer Perspektive

Prof. Dr. Wulf Schiefenhövel, Max-Planck-Institut, Andechs

These: Die Trinkempfehlungen in unserem Land sind möglicherweise zu hoch angesetzt.

Es gibt Völker (z. B. Ureinwohner Indonesiens), die mit einer geringeren Trinkmenge auskommen und sich zugleich guter Gesundheit erfreuen. Nierensteine u. ä. sind dort entgegen den Erwartungen nicht in erhöhtem Maße zu finden.

Doch diese Völker nehmen sehr wenig Salz und wenig proteinhaltige Nahrung zu sich. Beides, Salze und Proteine, binden Wasser im Körper und werden nur in Verbindung mit Wasser ausgeschieden.

Durst als physiologische Metapher der Kultur

Prof. Dr. Gerhard Neumann, München/Berlin

These: Der Durst ist für den Menschen nicht nur physiologisch ein elementares Bedürfnis, dessen Befriedigung überlebenswichtig ist, sondern bestimmt auch sein kulturelles Tun.

Der Mensch unterscheidet sich insofern vom Tier, als er trinken kann, ohne Durst zu haben. Dies verweist auf eine kulturell relevante Differenz, nämlich auf den Unterschied zwischen Instinkt und Begehren. Auch in der Literatur wird der Durst als Metapher benutzt, um ein Verlangen auszudrücken, das nicht warten kann. So z. B. im Alten Testament, als Moses die Israeliten aus Ägypten führt und bitteres Wasser in süßes verwandelt oder in Franz Kafkas “Brief an den Vater“, in dem sich hinter dem namenlosen Trieb nach Wasser der Wunsch nach Differenzierung verbirgt.

Ungeliebtes Wasser – Zur kulturellen Wertigkeit von Trink- und Mineralwasser

PD Dr. Gunther Hirschfelder, Universität Bonn

These: Das Wassertrinken zeigt wie kaum etwas Anderes die Parallelen des Wandels der Esskultur und dem gesellschaftlichen Wandel.

War das Wasser für die Menschheit seit jeher das Lebensmittel Nr. 1, hat mit der Industrialisierung ein Wandel stattgefunden: Die vormals durch Versorgungsengpässe und mangelnde Hygiene problematische Wasserversorgung wurde verbessert, durch die behördliche Zu- und Abwasserversorgung und das Angebot an abgefüllten Wässern. Mineralwasser, zunächst ein Luxusprodukt für die Oberschicht, wurde zunehmend zu einer erschwinglichen Massenware, die Sauberkeit und Keimfreiheit garantierte und damit „salonfähig“ wurde. Zugleich sank der Trinkwasserkonsum ab und kann im 20. Jahrhundert, mangels Untersuchungen, kaum quantifiziert werden.

Handelsgut Wasser? Irrealitäten und Realitäten

Dr. Michaela Schmitz, Bundesverband der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft, Berlin

These: Die Versorgung und die Qualität von Trinkwasser sind politische Entscheidungen, die immer wieder neu ausgehandelt werden. Sie unterliegen nicht nur ökonomischen, sondern auch gesellschaftlichen (emotionalen) Interessen.

In Deutschland, einem der wenigen Länder mit einer 100 % Ver- und Entsorgung von Wasser durch 6.560 Wasserversorgungs- und 7.159 Abwasserentsorgungsunternehmen, ist Wasser Allgemeingut und nicht Privateigentum, wie z. B. in Österreich. Das Land besitzt große Wasserreserven, von denen nur 24 % genutzt werden. Auch wenn man im Sprachgebrauch von Wasserverbrauch spricht, kann Wasser nicht unwiederbringlich verbraucht werden. Wasser unterliegt vielmehr einem Kreislauf, der nachhaltig bewirtschaftet werden muss. Politisch sind drei Grundsätze in Deutschland handlungsleitend: hohe Trinkwasserqualität, hohe Versorgungssicherheit und Kostendeckung. Innerhalb der EU plädiert Deutschland deshalb gegen eine Privatisierung der Wasserversorgung.

Aktuelle physiologische Aspekte des Wassers

Prof. Dr. Helmut Heseker, Universität Paderborn

These: Getränke sind in erster Linie dazu da, den Körper mit Flüssigkeit zu versorgen.

Trinken ist die wichtigste Quelle für den Flüssigkeitshaushalt des Körpers. Wir nehmen aus fester Nahrung immer weniger Flüssigkeit zu uns, weil wir zunehmend wasserarme Lebensmittel im Austausch gegen Suppen und Eintöpfe verzehren. Dies ist ein Grund dafür, dass die Trinkmenge höher sein muss, denn die Flüssigkeitsbilanz sollte ausgeglichen sein. Energiereiche Getränke erhöhen nicht die Sättigung. Ein gesunder Erwachsener braucht als Faustregel täglich etwa 1/30 des Körpergewichts an Flüssigkeit – das entspricht 2,5 l bei 75 kg Körpergewicht.

Wie viel Wasser braucht der Mensch? 150 Jahre ärztliche Empfehlungen zur Flüssigkeitszufuhr bei Gesunden und Kranken

Prof. Dr. Friedrich Manz, Dortmund

These: Der Wasserbedarf war in den letzten 150 Jahren stets ein Thema der Medizin, insbesondere der Kinderheilkunde. Die Anweisungen und Empfehlungen von Ärzten, das Trinken einzuschränken, haben teilweise großen Schaden in der Bevölkerung angerichtet.

Ein Teil dieser Regeln, z. B. „zum Essen sollte man nicht trinken“, sind nach wie vor in der Bevölkerung verankert. Man muss berücksichtigen, dass diese Empfehlungen jeweils auf dem historisch aktuellen Kenntnisstand basierten. Eine Einschränkung der Trinkmenge ist aus heutiger Sicht nicht sinnvoll. Wird aber ohne äußeren Anlass (z. B. Hitze, starke körperliche Beanspruchung, trockene Luft) in außergewöhnlich großem Umfang getrunken, kann auch eine Erkrankung vorliegen.

Wasser im „Labor“ Küche: Physik und Mythos

Prof. Dr. Thomas Vilgis, Max-Planck-Institut, Mainz

These: Viele Eigenschaften des Wassers sind auf seine Struktur als Dipol zurück zu führen.

Beispiele sind die Bildung von Eiskristallen oder die Bindung an Salze und Proteine. In kleinsten Einheiten des Körpers, den so genannten Nanoporen, ist Wasser wesentlich für den Transport von Substanzen. Dabei ist es sowohl an der Aufrechterhaltung der räumlichen Strukturen, als auch an der Substanzbewegung beteiligt.

Trinkkulturen im privaten und öffentlichen Leben

Dr. Gesa Schönberger, Dr. Rainer Wild-Stiftung, Heidelberg

These: Die Deutschen sind weit von einer Kultur des Wassertrinkens, wie sie in vielen Ländern der Welt und auch in anderen europäischen Ländern wie Frankreich oder Italien zu finden ist, entfernt.

Aus gesundheitlichen Gründen (Überernährung, Problem des ausreichenden Trinkens) ist es wünschenswert, dass eine Kultur des Wassertrinkens entsteht. Die Trinkkultur der deutschen Erwachsenen wird durch Kaffee, Säfte (insbesondere Apfelsaft) und Alkoholika (insbesondere Bier) geprägt. Trinkwasser wird meist in Form von Tee und Kaffee getrunken. „Wasser“ ist im Sprachgebrauch gleich Mineralwasser. Insbesondere das mit Kohlensäure versetzte Mineralwasser spielt in Deutschland eine Rolle. Trinkwasser aus dem Wasserhahn hingegen ist nahezu unbedeutend. Erst seit es Mitte der 1990er Jahre möglich ist, mit Hilfe der Trinkwassersprudler Trinkwasser mit Kohlensäure zu versetzen und damit einen Mineralwasserersatz zu erzeugen, steigt der Trinkwasserkonsum wieder an.

Wasser – Das blaue Gold des 21. Jahrhunderts?

Friedrich Barth, Institut für Organisationskommunikation, Bensheim

These: Wir wissen, wie die Trinkwasserprobleme in den Entwicklungsländern gelöst werden könnten. Allein, es fehlt der politische Wille.

Die Situation der Entwicklungsländer lässt sich, hinsichtlich Versorgung und hygienischen/gesundheitlichen Problemen mit Trinkwasser, mit der in Europa vor der Industrialisierung vergleichen. Insbesondere fehlt es dort am Zugang zu sauberem Trinkwasser, durch den ein Großteil der Krankheiten verhindert werden könnte. Der Ausbau der Wasserver- und -entsorgung in den Entwicklungsländern ist der Schlüssel zu Bildung (insbesondere der Frauen), Gesundheit und wirtschaftlicher Entwicklung (ohne Wasser kein Wachstum). Das von allen so dringend benötigte Wasser hat das Potential, vermehrt zum Dialog zwischen den Völkern zu führen.

Fazit

Wasser als Getränk ist ein low interest product. Deshalb wird es als Getränk geringer wertgeschätzt, als es zu erwarten wäre. Diese geringe Wertschätzung ist in den Köpfen der Bevölkerung verankert und wird unhinterfragt an die Nachkommen weitergegeben. Nach wie vor besteht eine diffuse Ablehnung gegenüber Trinkwasser. Hiervon profitiert das Mineralwasser, das als Premiumprodukt die Anforderungen an Trinkwasser in besonderem Maße erfüllt: Es ist sauber und hygienisch rein und bietet damit Sicherheit. Doch auch das Mineralwasser steht in seiner allgemeinen Wertschätzung unter der von anderen Getränken, wie Säften, Limonaden, Kaffee, Tee und Alkoholika. Eine höhere allgemeine Wertschätzung für Trinkwasser und abgefüllte Wässer wäre wünschenswert, um dem Ziel einer ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit energiearmer Flüssigkeit näher zu kommen. Dazu sollte nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Raum mehr Trinkund Mineralwasser angeboten werden. Das heißt, Strukturen zu schaffen, die ein ausreichendes Trinken ermöglichen: in Kindergärten, in Schulen, in Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung sowie im Handel – bereits vorhandene Wasserspender sind beispielsweise ein guter Ansatz. Auch in der Gastronomie wäre es wünschenswert, wenn Trinkwasser selbstverständlich mit serviert würde – und zwar kostenfrei.

 

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