Ernährungs-Blog

Hier finden Sie regelmäßig neue Beiträge der Dr. Rainer Wild-Stiftung zu aktuellen Themen und Veranstaltungen.

Das Menü der Zukunft - Schmeckt es?

Das Menü der Zukunft ist die Vision für die künftige Ernährung in Deutschland. Sie beschreibt den erstrebenswerten Zustand, wie in Zukunft Lebensmittel hergestellt werden, wie wir morgen zuhause essen und wie Ernährung in Städten und Gemeinden aussehen wird. Kreiert wurde die Komposition in drei Gängen auf Basis des Trendreports, den Nutrition Hub und das Bundeszentrum für Ernährung (BzfE) im Januar 2022 gemeinsam vorstellten und in dem die Prognosen von 107 Expertinnen und Experten ausgewertet wurden. Unter ihnen gab auch Dr. Silke Lichtenstein von der Dr. Rainer Wild-Stiftung ihre Einschätzung ab.

„Gut für uns. Gut für das Klima“, mit dieser Formel beschreiben Dr. Simone Frey und Dr. Margareta Büning-Fesel ihr Wunschbild der Ernährung von Morgen, das sie unter dem Titel „Das Menü der Zukunft“ diese Woche enthüllten. Als sich Nutrition Hub und das BzfE zusammenfanden, um ein gemeinsames Modell zu entwickeln, fehlte es nicht „an Zahlen und fundierten Ergebnissen“, sondern laut Dr. Frey eher an der „Vorstellung, wohin uns das führen kann“. „Von dieser Zukunftsvision erhoffen wir uns auch einfach einen Impuls zur Diskussion über die Transformation“, ergänzt Dr. Büning-Fesel im Beitrag, der am 27.4. in der Morgensendung „Volle Kanne“ des ZDF ausgestrahlt wurde. Als Grund für die Notwendigkeit eines „Menüs der Zukunft“ nennt sie einmal den Klimawandel und das Erfordernis der Transformation des Ernährungssystems insgesamt. Anstrengender Term, dann lieber Menü der Zukunft.

Das Menü entführt mich mit den knalligen, gelben und pinken Farbakzenten auf dem Cover direkt in eine Fantasiewelt. Wo die Moderne doch eher mit dunklen Farben oder Grautönen assoziiert werden könnte, strahlt das Menü zuversichtliche Lebendigkeit und Fortschritt aus. Und bedarf es nicht auch Zuversicht? Einige Ziele hören angesichts der heutigen Herausforderungen fast utopisch an: vollständig transparente Lebensmittelproduktion, Fast-Healthy statt Fast-Food, kostenfreies und frisches Essen in Kitas und Schulen. Ist das denn überhaupt denkbar? Wenn ich mir das Menü durchlese, dessen Rezepte auf den Befragungen von 107 Expertinnen und Experten beruhen, erscheint mir das Ziel so naheliegend, wie die vielen Debatten um die ungelösten Probleme, den Weg dahin unendlich weit erscheinen lassen.  Möglicherweise ist das auch der Grund, dass Dr. Frey und Dr. Büning-Fesel bewusst keine konkreten Jahreszahlen oder Strukturen zur Umsetzung geben. Gerade in heutiger Zeit zeigte sich öfter, dass beispielsweise Zeitdruck oder von oben vorgegebene Muster zwar Ergebnisse in großer Zahl generieren, deren Qualität dann aber auch zu wünschen übrig ließ. Stillstand statt Fortkommen. Motivation geht anders.

Ich möchte lieber den optimistischen Blick auf den ersten Gang des Menüs der Zukunft richten. Wohlwollend eingestreute Worte wie „Freude“, „Entspannung“, „pur“ oder „lecker“ machen mir den Gang direkt schmackhaft. Digitale Applikationen, so lese ich, werden wir zum Finden regionaler und saisonaler Produkte nutzen, uns dort die besten Rezepte heraussuchen und sie mit unseren Mitmenschen teilen. Wie wahr, Essen ist und bleibt die Grundlage des sozialen Miteinanders, die Digitalisierung ändert nur die Erscheinungen, das kann ich als Digital Native versichern! Weiter lese ich, dass wir mehr pflanzliche Produkte konsumieren und damit nicht nur der Umwelt eine große Geste erweisen. Die Diskussion über die Vorteile tierischer Produkte muss nicht stattfinden, weil der Benefit pflanzlicher Ernährung umso stärker hervorgehoben wird. Die Hauptzutaten des ersten Gangs: „Entschleunigung und Genuss“, am liebsten beim Essen Zuhause. Die Welt dreht sich (im Geiste) immer schneller, mehr denn je wird in der Zukunft Entschleunigung ein Prozess sein, den jeder für sich entdecken muss. Zusammen kochen, klingt nicht innovativ, aber gefühlt ist es genau das, was wir brauchen, um gleich so viele Facetten unserer Kultur und unseres Lebens besser zu spüren. Auch bei meinen Eltern schon war das gemeinsame Kochen und Essen der Moment, in dem wirklich alle Familienmitglieder Zeit miteinander verbrachten. Das Menü der Zukunft stellt den Aspekt des Kochens vor allem als Mittel der Entspannung in den Vordergrund. Ich denke, das kann durchaus funktionieren. Vorausgesetzt, man nimmt sich Zeit und geht mit einer entsprechenden Haltung ans Werk. Damit die heimische Küche tatsächlich zum Ort der Entspannung wird, gilt es Ruhe und Humor zu bewahren. Auch, wenn das Kartoffelwasser auch wieder überkocht, die Karotten verschmoren oder die Zwiebeln beim Schneiden wieder einmal für Tränen sorgen. Nichtsdestotrotz, oder umso mehr, wird das Kochen etwa auch in Kitas zu Möglichkeit Teil elementarer Begegnungen mit der eigenen Selbstwirksamkeit. Alles in allem klingt das doch so richtig wie schön. Im Nachschmecken des ersten Ganges denke ich, dass der Weg bis zu diesem Ziel nicht einmal sonderlich viel Arbeit oder Zeit erfordert. Eigentlich müssten alle nur etwas in sich gehen können. Vielen Menschen ist das nur nicht vergönnt, ahne ich. Armut und andere Barrieren vermischen sich als leichtes Grummeln mit meinem guten Bauchgefühl.

Der zweite Gang verspricht große Innovation. Langfristige Wirtschaftlichkeit, Ethik und Fairness führen die Leitbilder an, reine Gewinnmaximierung wird für Unternehmen nicht mehr vordergründig sein. Alles andere als nachhaltiges Unternehmertum wird als rückständig abgestraft und verschwindet automatisch vom Markt. Lebensmittelproduktion wird vollständig transparent, Wissenshungrige bekommen umfassenden Einblick in die Produktion eines jeden Lebensmittels. Verpackungen werden künftig aus modernen, ökologisch verträglichen Materialien produziert. Oder gar keine Verpackungen mehr bzw. nur wenige, das schmeckt mir. Aber all das ist ein überaus großer Schritt, und ist er überhaupt möglich? Mir scheint, auch der Beitrag in „Volle Kanne“ schlägt einen eleganten Bogen rund um das Thema. Zumindest in Sachen Verbannung von herkömmlichen Plastikverpackungen sind wir bereits auf einem sehr guten Weg und entwickeln stets neue umweltverträgliche Alternativen. Beim Thema Süßigkeitenwerbung als Teil des Menüs der Zukunft, bleiben bei mir Fragezeichen. Ich verstehe und teile die Argumentation der Verantwortung gegenüber Kindern. Wir schulden Kindern aber doch noch mehr Schutz, im Sinne von Eigenschutz. Dadurch, dass wir sie unter anderem mit Ernährungsbildung dazu befähigen, mit allerhand Werbeversprechen umzugehen. Denn aus Kindern werden Leute, grüble ich. So mundet mir auch der zweite, abwechslungsreiche und stellenweise polarisierende Gang letztlich bestens – und lässt mir noch Appetit für das Dessert. Denn es gibt ja noch einen dritten Gang.

Wie bestellt bot mir der dritte Gang auch wieder ein rundes Wohlfühl-Paket, das sich auch einfacher zubereiten lässt, als der zweite Gang. Vorausgesetzt, alle ziehen an einem Strang. Ich lese im Auftakt „Auf den Dächern wächst und gedeiht es“ und schaue auf das (nicht essbar) begrünte Haus gegenüber. Tolle Vorstellung. Ganz mit dem Vorbild grüner Städte in anderen Ländern und dem Konzept der Schwammstadt hangelt sich der dritte Gang geschmacklich an wissenschaftlichen Erkenntnissen und gesellschaftlichen Wünschen entlang. Lebensmittelabfälle, so auch von Dr. Büning-Fesel im ZDF-Beitrag benannt, sollen eingedämmt werden, das übliche Fast-Food einem genussvollen, gesunden Äquivalent, vielleicht auf pflanzlicher Basis, weichen. Auch hier schwingt scheinbar Idealismus und Fantasie mit, aber immer mehr heute noch visionär klingende Erfolgskonzepte könnten doch auch zur Realität werden. Zumindest für die Menschen, denen die Lebensumstände die Möglichkeit dazu geben. Auch die 17 Sustainable Devolopment Goals aus der Agenda 2030 ermuntern die Wohlhabenden zu mehr freiwilligem Verzicht (auf dem Teller) zugunsten der Benachteiligten, deren Handlungsspielraum begrenzt ist. Und hat nicht Genuss auch mit Verknappung zu tun? Mir gefällt, dass der Beitrag im ZDF Produzenten, Politik und Bürger gleichermaßen in die Verantwortung nimmt. Ich höre „Letztlich entscheidet unser Konsumverhalten“ Dem ist nicht viel hinzuzufügen. Oder gibt es noch ein Digestif?  

Zusammengefasst ist das Menü der Zukunft ein kleines Stück vom Glück, vielleicht auch eines real werdenden Traumes. Es macht Appetit auf das reell vorhandene Potenzial, tolle und nachhaltige Veränderungen zu schaffen. Was Dr. Frey und Dr. Büning-Fesel stellvertretend für Ihre Institutionen zusammen mit den 107 Experten, von denen Dr. Silke Lichtenstein eine war, aufgestellt haben, kommt daher wie eine Wunschvorstellung für die Zukunft. Weil hier aber die geballte Expertise aus Wissenschaft und Praxis eine Stimme findet, ist Vieles davon längst Wirklichkeit. „Gemeinsam und mit kleinen Schritten machen wir uns auf den Weg“, so klingt der letzte Schluck des Digestifs und der Abschluss eines schmackhaften Menüs, welches ich definitiv weiterempfehlen werde.

 

Dr. Alexander Brandt

 

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