Mind the gap - Lebensmittel zwischen Preiswert und Mehrwert
3. Tischgespräch, 29. Juli 2020
Den wissenschaftlichen Impuls führte Lisa Christofzik, Ernährungswissenschaftlerin und Agrarökonomin und Mitarbeiterin der Stiftung. Im daran anschließenden Expert*innen Gespräch tauschten sich aus:
Dr. Silke Lichtenstein, Diplom-Oecotrophologin und Geschäftsführerin der Dr. Rainer Wild-Stiftung
Dr. Karin Bergmann, Ernährungswissenschaftlerin und Inhaberin Dr. Bergmann Food Relations in München
Lisa Christofzik, Ernährungswissenschaftlerin und Agrarökonomin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Dr. Rainer Wild-Stiftung
Dr. Magnus Kellermann, Agrarökonom und Leiter Arbeitsbereich Agrarmarktpolitik, Landesanstalt für Landwirtschaft Bayern
Dr. Gesa Maschkowski, Diplom-Oecotrophologin und Wissenschaftsredakteurin für nachhaltige Ernährungskultur und Verbraucherschutz, Bundeszentrum für Ernährung
Ob ökologische Erzeugung, Reduzierung von Lebensmittelverlusten oder Fehlernährung: Eine Vielzahl der größten Herausforderungen der Ernährung steht in enger Beziehung zur Lebensmittelqualität. Die Diskurse, die öffentlich, doch auch in Fachkreisen im Zusammenhang mit der Lebensmittelqualität geführt werden, landen schnell beim Preis bzw. bei der fehlenden Zahlungsbereitschaft deutscher Verbraucher*innen. Meist enden sie dann auch dort und mit einem Ergebnis: Verbraucher*innen soll mehr zahlen wollen. Wie diese Initiative aussehen oder wirken soll, bleibt offen.
Schon die Lektüre weniger Markt- und Verbraucherstudien reicht aus, um zu erkennen, dass sich sowohl Qualitäts- als auch Gesundheitsbewusstsein der Deutschen sehr stark gewandelt haben: Es könnte ausgeprägter nicht sein. In unzähligen Befragungen zeigt sich, dass Verbraucher*innen den Preis nach wie vor berücksichtigen, aber bei ihren Kaufentscheidungen auch klare Vorstellungen davon haben, welche Qualität oder besser, welchen (Mehr-)Wert sie dafür erwarten. Der Preis sei diesen Werten untergeordnet – theoretisch. Denn wie so oft sieht auch die Realität am Lebensmittelmarkt anders aus. Zwar lassen einige Trends am Markt erkennen, dass sich der Sinneswandel im Konsum niederschlägt, aber noch in wesentlich geringerem Ausmaß, als laut Umfragen zu erwarten wäre.
Worin sich der gap, die Lücke, zwischen Wunsch und Wirklichkeit begründet, ist ungeklärt. Mit gängigen Stereotypen wie „Geiz ist geil“ sind schnell Argumentationsmodelle gefunden. Es liegt aber auf der Hand, dass die Fragestellung komplexer ist und nicht so einfach abgehakt und hingenommen werden kann. Die Herausforderung besteht darin, adäquate Lösungsansätze für die Verknüpfung von Wertvorstellungen und Konsumgeschehen zu finden und umzusetzen. Dabei sind nicht nur Verbraucher*innen selbst, sondern auch die zuständigen Fachkreise, Hersteller und Handel gefordert.
Dabei zeigen Beispiele anderer Konsumgüter wie Textilien oder Kosmetika, wie differenziert sich real die Beziehungen zwischen Preisen, (Mehr-)Werten und Kaufbereitschaft darstellen. Auch die Literatur bietet ausreichend Hinweise darauf, dass die zögerliche Umsetzung unter anderem auch mit unklaren Vorstellungen von gängigen (Mehr-)Werten, dem fehlenden Wiedererkennungswert beim Einkauf oder schlicht mit der Überforderung durch zu viele Informationen über die „richtige“ Ernährung zusammenhängt.
Alles das spricht dafür, in den differenzierten, interdisziplinären Wissenschaftsdiskurs zu treten, der die Wünsche von Verbraucher*innen wertschätzt, auch wenn sie diese (noch) nicht umsetzen (können). Denn erste Ergebnisse geben Hinweise auf die Überforderung und Ermüdung der Verbraucher*innen auf der Suche nach der „richtigen“ Ernährung. Dieser Zielsetzung widmete sich das dritte Tischgespräch der Dr. Rainer Wild-Stiftung am 29.07.2020, zu dem sich über 80 Teilnehmer aus Deutschland und den Nachbarländern anmeldeten. Den Impuls gab Lisa Christofzik, Mitarbeiterin der Dr. Rainer Wild-Stiftung. In ihrem Vortrag vermittelte sie allen Zuhörern die aktuelle theoretische Basis für den daran anschließenden Austausch des geladenen Expertenpanels. Im Dialog mit den Teilnehmer*innen bestätigte sich, dass nicht nur Verallgemeinerungen wie „die Verbraucher*innen“ an der Wirklichkeit vorbeigehen, sondern auch die Barrieren bei Verbraucher*innen so vielseitig sind wie ihre Wertvorstellungen. Als Quintessenz ergab das Tischgespräch letztlich, dass die Wertschätzung seitens Verbraucher*innen sich erst dann im Konsum zeigen kann, wenn diese ihre diversen Vorstellungen von Mehrwerten in den Lebensmitteln erkennen können. An Beispielen aus der Praxis wurde erörtert, wie das gelingen kann. Außerdem wird kein Weg an einer wertschätzenden Auseinandersetzung mit den Wünschen und Hemmnissen vorbeiführen, die Studien gerade untersuchen. Nicht zuletzt mahnte das Panel an, dass die mangelnde Umsetzung auch auf die vielerorts fehlende Verfügbarkeit von Informationen zurückzuführen sei. Damit liegen die Aufträge für die Akteure auf der Hand. Sie bieten allesamt hohes Potenzial, tatsächlich positive Veränderungen in der Ernährung zu erreichen. Ein Prozess, den die Dr. Rainer Wild-Stiftung begleiten und unterstützen möchte.
In Kürze finden Sie hier den Videomitschnitt des 3. Tischgesprächs
Kontakt
Lisa Christofzik
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
B.Sc. Ernährungswissenschaften
M.Sc. Agrarökonomie
Tel.: +49 6221 7511-206
lisa.christofzik@gesunde-ernaehrung.org